Chlorothalonil-Metaboliten überschreiten Grenzwert im Grundwasser des Mittellandes grossflächig und führen somit zu einer erheblichen Verunreinigung
12.05.2020 – Im Dezember 2019 hat das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) alle Abbauprodukte («Metaboliten») des Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffs Chlorothalonil als Trinkwasser-relevant eingestuft. Für diese Stoffe gilt somit ein Höchstwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter für Trinkwasser, der in diesem Fall auch für das Grundwasser als Grenzwert gültig ist. Nun hat das Bundesamt für Umwelt BAFU eine erste landesweite Einschätzung der Belastung im Grundwasser vorgenommen. Sie zeigt: Die Konzentrationen mehrerer Chlorothalonil-Metaboliten überschreiten diesen Grenzwert im Grundwasser des Mittellandes grossflächig und führen somit zu einer erheblichen Verunreinigung.
Der Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff Chlorothalonil wurde seit den 1970er Jahren in der Schweizer Landwirtschaft eingesetzt. Nachdem das BLV im Dezember 2019 diesen Wirkstoff in Bezug auf eine mögliche Gesundheitsgefährdung neu beurteilt und dessen Metaboliten für relevant erklärt hat, sind die Chlorothalonil-Metaboliten in den Fokus der Trinkwasserversorgung gerückt.
Da 80 Prozent des Trinkwassers hierzulande aus Grundwasser gewonnen werden und diese Stoffe nur mit sehr grossem Aufwand bei der Aufbereitung wieder entfernt werden können, kommt dem Zustand des Grundwassers hinsichtlich dieser Stoffe eine grosse Bedeutung zu.
Grenzwert für Trink- und Grundwasser
Im Dezember 2019 beurteilte das BLV den Wirkstoff Chlorothalonil neu und stufte als Folge davon automatisch alle Abbauprodukte als relevant ein. Damit gilt für alle Chlorothalonil-Metaboliten ein vorsorglicher Höchstwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter im Trinkwasser (Verordnung des EDI über Trinkwasser sowie Wasser in öffentlich zugänglichen Bädern und Duschanlagen TBDV).
Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird oder dafür vorgesehen ist, muss so beschaffen sein, dass es nach Anwendung einfacher Aufbereitungsverfahren die Anforderungen der Lebensmittelgesetzgebung einhält (Gewässerschutzverordnung GSchV). Daher gilt der Höchstwert der TBDV auch als Grenzwert («numerische Anforderung») für Grundwasser.
Im Rahmen einer Pilotstudie der Nationalen Grundwasserbeobachtung NAQUA, die das BAFU in enger Zusammenarbeit mit den kantonalen Fachstellen betreibt, wurden im Jahr 2017 erstmals Metaboliten des Pflanzenschutzmittels Chlorothalonil im Grundwasser nachgewiesen. Das Wasserforschungsinstitut Eawag analysierte dabei mit Hilfe eines aufwändigen, spezifisch entwickelten Verfahrens Hunderte von Stoffen in Proben von 31 ausgewählten Messstellen.
2018 konnten diese spurenanalytischen Untersuchungen auf weitere Messstellen ausgedehnt und einer der Metaboliten bereits in einen Teil des Langzeitmonitorings von NAQUA, also die regelmässige Analytik im NAQUA-Messnetz, aufgenommen werden.
Etwa die Hälfte der Kantone betroffen
Die Untersuchungen von 2017 und 2018 erlauben eine erste landesweite Einschätzung der Belastung des Grundwassers. Diesen Ergebnissen zufolge überschreiten mehrere Chlorothalonil-Metaboliten den Grenzwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter im Grundwasser. Insbesondere die drei Metaboliten R471811, R417888 und R419492 verunreinigen das Grundwasser in vielen landwirtschaftlich genutzten Gebieten des Mittellandes grossflächig (Tab. 1). Werte von über 0.1 Mikrogramm pro Liter finden sich gemäss diesen Ergebnissen in den Kantonen AG, BE, FR, GE, LU, SH, SO, TG, TI, VD, ZG und ZH. Auch die Metaboliten R611968, SYN507900 und SYN548580 sind vereinzelt nachweisbar.
Die meisten Daten (von 201 Messstellen) liegen zum Metaboliten Chlorothalonil R417888 vor. Dieser überschreitet den Grenzwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter im Mittelland an mehr als 20% der Messstellen.
Maximalwert pro NAQUA-Messstelle. BG: Analytische Bestimmungsgrenze. Die Karte zeigt auf Grundlage der Ergebnisse von etwa 200 Messstellen (Pilotstudie 2017/2018 und Langzeitmonitoring 2018) eine weiträumige Verbreitung von Chlorothalonil R417888 im Grundwasser des Mittellandes und einiger grosser Talebenen.
© BAFU
Am stärksten ist das Grundwasser durch den Metaboliten Chlorothalonil R471811 belastet. Dieser weist in allen Fällen die höchsten Konzentrationen pro Messstelle auf, jedoch liegen bisher nur Ergebnisse einer geringeren Anzahl von 70 Messstellen vor. An einzelnen Messstellen erreichen die Konzentrationen dieses Metaboliten sogar mehr als 1 Mikrogramm pro Liter. Basierend auf den Daten dieser beiden Metaboliten kann grob abgeschätzt werden, dass R471811 im Mittelland an mehr als der Hälfte aller Messstellen den Wert von 0.1 Mikrogramm pro Liter überschreiten dürfte.
Da sich Grundwasser relativ langsam erneuert und die Metaboliten von Chlorothalonil ausgesprochen langlebig sind, ist davon auszugehen, dass diese Verunreinigungen die Grundwasser-Qualität noch während Jahren in grösserem Ausmass beeinträchtigen werden.
Maximalwert pro NAQUA-Messstelle. BG: Analytische Bestimmungsgrenze. Die Karte zeigt auf Grundlage der Ergebnisse von 70 Messstellen (Pilotstudie 2017/2018) eine weiträumige Verbreitung und einen hohen Anteil von Grenzwertüberschreitungen von Chlorothalonil R471811 im Grundwasser des Mittellandes.
© BAFU
Vollständiges Bild der Belastung
Im Sommer 2020 wird für den Metaboliten Chlorothalonil R417888 ein weitgehend vollständiger Datensatz zu den knapp 550 NAQUA-Messstellen des regulären Langzeitmonitorings 2019 vorliegen. Aktuell sind zudem weitere Untersuchungen zu dem mit grosser Wahrscheinlichkeit am weitesten verbreiteten und in den höchsten Konzentrationen vorkommenden Metaboliten Chlorothalonil R471811 angelaufen. Kantonale Fachstellen und Wasserversorger führen darüber hinaus zurzeit umfangreiche eigene Analysen an potentiell betroffenen Wasserfassungen durch.
Die Daten, die im Rahmen der Pilotstudie 2017 und 2018 erhoben wurden, liegen, wie alle NAQUA-Daten, den kantonalen Fachstellen vor. Die betroffenen Wasserversorger sind ebenfalls über die Ergebnisse informiert. Für detaillierte Informationen zur Grundwasser-Qualität vor Ort bzw. in einzelnen Gemeinden sind die kantonalen Fachstellen zuständig. Über die Trinkwasser-Qualität informieren die Wasserversorger die Konsumenten.